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Montag, 04 April 2022 14:39

Neil Robertson gewinnt Tour Championship der Superlative

Sieben Tage, sieben Dramen: Ein neuer Weltrekord von Ronnie O’Sullivan, pulverisierte Century-Bestwerte sowie ein gigantisches Comeback von Neil Robertson im Finale gegen den fassungslosen John Higgins. Eine bessere Einstimmung auf die Marathon-Wochen von Sheffield? Ist kaum denkbar. Wir schauen zurück …

Gastbeitrag von diesem Autor: Matthias Breusch, www.satz-ball.de

33 Centuries

Innerhalb kürzester Zeit hat sich die 2019 eingeführte Turnierserie aus World Grand Prix, Players Championship und Tour Championship nachhaltig unter den Top-Ereignissen des Snooker-Kalenders etabliert.

Für die Big Boys der Szene ist die Teilnahme an der seit 2021 von der britischen Gebrauchtwagenhändlern Cazoo gesponserten Meisterschaft der acht Saisonbesten längst ähnlich wertig wie die Triple-Crown-Events und das Champion of Champions.

Die Standards sprechen für sich: In den sieben Matches von Llandudno wurden alleine 33 Centuries notiert. Jeweils zehn entfielen auf Ronnie O’Sullivan und Neil Robertson, der zudem in Frame fünf des Finales knapp ein Maximum Break verfehlte. Die letzte Blaue klebte an der Kopfbande … 

Higgins landet in der Hölle

Für John Higgins endete ein über weite Strecken himmlisches Finale in der Hölle. Er führte gegen Neil in brillanter Manier 8:3 und 9:4, lag in den Statistiken mit 95 Prozent Locherfolg und 89 Prozent Safety Success vorne – und unterlag dennoch mit 9:10.

150.000 Pfund Preisgeld kassierte der Sieger, lediglich 50.000 der Endspielgegner. Aber das entgangene Geld dürfte Higgins weniger erschüttert haben als sein letzter Stoß, eine verschossene 08/15-Rote im Decider bei offenem Bild. Bleich nahm er seine Vize-Medaille in Empfang. Er ist der „Beinahe-Champion“ des Jahres, mit fünf verlorenen Endspielen in dieser Saison.

Robertson hingegen schaffte das größte Comeback seiner Karriere seit dem 13:12 nach 5:11-Rückstand gegen Martin Gould im Crucible-Achtelfinale 2010.

Müdes Publikum, harter Beton

Auch der Führende in der Saison-Weltrangliste, UK- und German-Masters-Champion Zhao Xintong, musste eine schmerzhafte Niederlage hinnehmen. Im Viertelfinale stand der 24-jährige Chinese mit drei Centuries und technisch blitzsauberem Spiel 8:4 dicht vor dem Sieg. Dann zog Higgins die Handbremse und zermürbte den „Zyklon“ mit Beton-Defensiven. Johns grundehrliche Analyse: „Ich hab schlecht gespielt, aber ich hab es geschafft, ihn auf mein Niveau herunterzuziehen.“ Trotz des dramatischen Verlaufs litt das Match unter einem müden Publikum. Selbst Zhaos serienweise spektakulär gelochte Bälle in die Mitteltaschen erlebten nur dürren Applaus.

Mark beißt in den Tisch

Neil Robertsons überfuhr Mark Allen in der ersten Session seines Viertelfinals mit 7:0. Als bei den Buchmachern die Wetten auf einen 10:0-Whitewash heißliefen, brachte sich Mark als Nachfolger von Cliff Thorburn und Mark Selby ins Gespräch. Mit ungeheurer Zähigkeit verbiss sich der Kurzpass-Künstler aus Nordirland in den Tisch und zwang Robertson in Safety-Duelle mit Prozentsnooker-Wertungen. Immerhin kam er auf 7:4 und 8:6 heran, bevor Neil mit seinem vierten und fünften Century über die Ziellinie schoss.

Frechheit siegt

Nüchtern und gnadenlos zog Luca Brecel gegen Judd Trump ins Halbfinale ein. 6:2 hieß es nach der ersten Session. Judds Performance war gespickt mit einem guten Dutzend verschossener Routine-Bälle. Erst nach dem 3:8 kam der Seriensieger der letzten Jahre besser ins Spiel und gewann drei Frames in Folge, darunter eine 140 als bester Score des Turniers.

Frech war Lucas Erklärung nach dem Match, er habe zuletzt überhaupt nicht trainiert und sich lieber dem Aufbau seines neuen Trainingstischs in seinem neuen Haus gewidmet. Er betrachte daher das Turnier als willkommene Übungseinheit ...   

Zirkusreife Zuckerbällchen

Reichlich angefressen nach seinem 9:10 gegen Ronnie O’Sullivan zeigte sich Mark Williams. Seit 2001 hat der kaltblütige Waliser kein Match über mehrere Sessions gegen Ronnie gewonnen. Seine Kopf-an-Kopf-Bilanz mit dem Raketenmann liegt mittlerweile bei 8:34.

Das zirkusreife Entertainment der beiden wurde von professionellen Kritikern wie Ex-Weltmeister Ken Doherty als „eines der großartigsten Best-of-19-Matches aller Zeiten“ einsortiert. Keiner der beiden hatte eine Niederlage verdient. Ronnie zauberte in eleganter Manier fünf Centuries auf den Tisch …

Ronnies neuer Weltrekord

… und wiederholte dieses Kunststück im furiosen Halbfinale gegen Neil Robertson. Statistiker fanden heraus: Das hatte es in der Snooker-Historie zuvor noch nie gegeben. Ein Rekord mehr für den besten Spieler aller Zeiten. Ronnie selbst gab die Favoritenrolle auf die Weltmeisterschaft gerne ab und bezeichnete Robertson nach dessen Endspurt von 8:9 auf 10:9 als den „besten, komplettesten Spieler der Welt“.    

Lucas Leichtsinn

Luca Brecel führte im zweiten Semi-Finale auch gegen John Higgins schnell souverän mit 3:0. Nach einem kilometerweit neben der Tasche gelandeten langen Einstiegsversuch von Higgins, der sich mit Grausen abwandte, legte Luca 64 Punkte vor. Dann misslang ihm ein Split in das Grüppchen der verbliebenen Roten um Haaresbreite, und John verstand den vierten Frame noch zu klauen. Bis zum 7:7 konnte Belgiens Supertalent mithalten. Letztlich scheiterte der Welsh-Open-Meister an Higgins‘ steigender Spielstärke, aber auch mehrfach an seinem eigenen Leichtsinn in verzwickten Positionen.

Positive Vibrationen

Neil Robertson enthüllte nach dem Finale im Interview mit dem Haus-TV von World Snooker sein Erfolgsgeheimnis. Anders als viele Kollegen, die möglichst viele Stunden am Trainingstisch als das einzige Mittel sähen, sich zu verbessern, gehe er eher den psychologischen Weg:

„Bei meinem Vater im Auto liefen auf dem Weg zu Nachwuchsturnieren immer Motivations-Cassetten mit inspirierenden Geschichten. Das hilft enorm dabei, deine innere Stimme zu ignorieren, die dir immer und immer wieder einzuflüstern versucht: Oh, den nächsten Ball verschießt du.

Schon als 13, 14-Jähriger bin ich also praktisch darauf programmiert worden, diese Stimme komplett auszuschalten. Heute lese ich Bücher oder beschäftige mich mit Psychologie. Manchmal verfolge ich bis morgens um vier andere Sportarten und versuche, darin Inspiration zu finden.

Und was Comebacks betrifft, halte ich es schon immer so: Wenn Hendry gegen Hallet nach einem 1:8 oder 2:8 zurückgekommen ist, warum sollte mir das nicht auch gelingen?“

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