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Dienstag, 27 August 2024 22:56

Snooker in Saudi-Arabien: Geld oder Leben?

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Hinten, von links: Barry Hearn (Matchroom), seine königliche Exzellenz Turki Alalshikh, Ronnie O'Sullivan; vorne von links: Eddie Hearn (Matchroom), Giles Morgan (Matchroom) Hinten, von links: Barry Hearn (Matchroom), seine königliche Exzellenz Turki Alalshikh, Ronnie O'Sullivan; vorne von links: Eddie Hearn (Matchroom), Giles Morgan (Matchroom) picture credit: wst

2024 ist durch den Einstieg von Saudi-Arabien in den Snooker-Kalender die Diskussion um das sogenannte Sportswashing aufgekommen, das Diktaturen gerne zum Weichspülen der Wirklichkeit nutzen. Wie kann der Snookersport mit dieser Problematik umgehen?

So smart, modern und weltoffen sich Einparteiensysteme oder Feudalherren im dritten Jahrtausend auch geben mögen: Die Dokumentation der Unfreiheit und Unmenschlichkeit in den Jahresberichten von amnesty international, Human Rights Watch oder diverser UNO-Organisationen ist nicht auszublenden oder gar wegzudiskutieren.

Gesund und aktiv

Shaun Murphy, Vertreter der Spieler im Vorstand der WPBSA, blieb nicht mehr als ein pragmatisches Schulterzucken, als in vielen Medien Kritik an dem Zehn-Jahres-Deal mit dem saudischen Sportministerium geäußert wurde: „Am Ende des Tages ist es besser, den Event zu haben als ihn nicht zu haben. Wenn wir ausschließlich mit Ländern Umgang pflegen würden, die eine perfekte Menschenrechtslage vorweisen können, gäbe es nur ein sehr schmales Angebot, auf das wir zugreifen könnten.“

Murphys Triple-Crown-Kollege Neil Robertson sah es etwas volkstümlicher: „Saudi-Arabien investiert in Sport, um seine junge Bevölkerung anzuregen, aktiv zu werden und gesund zu leben, und es ist großartig, dass Snooker Teil dieser Strategie ist.“

Markenbotschafter O’Sullivan

Ronnie O’Sullivan wurde schon zum Start des Einladungsturniers von Riad im Frühjahr 2024 von den Veranstaltern als Markenbotschafter für Snooker in Arabien präsentiert ("Ich stehe an der Seite Seiner Exzellenz Turki Alalshikh, um an seinen Zielen zu arbeiten.").

Umgehende Forderungen von Medienvertretern, O’Sullivan und Judd Trump sollten sich in Riad für die Einhaltung von Menschenrechten stark machen, sind naiv. Peitschenhiebe, Amputationen, Steinigungen und Exekutionen gehören zum saudi-arabischen Strafrecht, das auf der Scharia beruht. Sie werden täglich angewandt und in der absolutistischen Monarchie nicht hinterfragt. Meinungsäußerungen gegen die Königsfamilie sind untersagt. Opposition wird beseitigt.

Waffen, Suppe, Nutzfahrzeuge

Dies hindert offensichtlich jedoch niemanden daran, mit dem Königshaus Geschäfte jeglicher Art zu machen. Alleine der Handelsüberschuss Deutschlands sorgt für steile Zahlen. 2015 waren es 6,4 Milliarden Euro. Neben Waffengeschäften, die im Jemen-Krieg für Hunderttausende von Opfern verantwortlich gemacht werden, sorgen für dieses Plus ausgeführte Konsumgüter jeglicher Art, von der Tütensuppe bis zum Sportnutzfahrzeug. Die komplette westliche Welt profitiert davon, dass die Saudis ihren Öl-Reichtum mit beiden Händen ausgeben.

Ja, jedes einzelne Opfer eines solch brutalen Justiz- und Herrschaftssystems ist eines zu viel. Aber warum sollten ausgerechnet die Snookerspieler dagegen ein Zeichen setzen können? Hat der Tennis- oder Golfzirkus saudisches Sponsoring je abgelehnt? Die FIFA? Das IOC?

Allein der saudische Kronprinz und Machthaber Mohammed bin Salman hat Dinge in Bewegung gebracht, die niemand von außen hätte anstoßen können. Die rechtliche Unterdrückung der Frauen wurde 2018 gelockert, im selben Jahr das seit Jahrzehnten geltende Verbot von Kinos und Konzerten aufgehoben. Die Leine wird länger, die Kontrolle bleibt. Vor allem durch KI-Systeme, ähnlich wie in China.

Der Schlüssel zur Menschlichkeit: Fairness

Immerhin drei unbezahlbare Aspekte sprechen neben den kommerziellen Interessen für Snooker in Saudi-Arabien. Moralische Pflaster, wenn man so will:

Erstens: Eine der denkbar fairsten Sportarten überhaupt kann allein durch ihre Verbreitung friedliche und kulturell wertvolle Impulse setzen. Immerhin transportiert Snooker in seiner DNA ein permanentes Plädoyer für korrekten, zivilisierten Umgang miteinander, selbst in dramatischsten Momenten, selbst in der bittersten Niederlage. Je mehr Kids vor Ort sich vom Snookerspiel faszinieren lassen, desto besser. Punkt für Neil Robertson.

Zweitens: Das Spiel gehört allen. Man kann es präsentieren - aber nicht kaufen. Es ist losgelöst vom Herunterbeten von Medaillenspiegeln. Snooker ist Fortschritt. Hier zählt das Können, nicht die Flagge. Schotten haben Anhänger in China. Thailänder haben Fans in Finnland. Es gibt schlechtere Botschaften.

Drittens: In Riad gibt es ein echtes, begeistertes Publikum, wie das Einladungsturnier der Riyadh World Masters im Frühjahr 2024 gezeigt hat. Ein künstlich aufgepumpter Event– wie etwa die Handball-WM 2015 in Katar- sieht anders aus.

(Nachträgliche Anfügung: Leider hat sich diese Prognose nicht bewahrheitet. Erst sehr spät im Turnier war so etwas wie Publikumsresonanz zu erleben. Die meisten Matches wirkten wie die Turniere während der Covid-Pandemie. Das angedachte Ziel der Veranstalter, die mehrheitlich jungen Bewohner des Landes für diesen Sport zu begeistern, wurde nahezu hundertprozentig verfehlt. Warum hat man nicht zumindest jedem, der in Saudi-Arabien irgend etwas mit dem Billardsport zu tun hat, ein Bündel Freikarten in die Hand gedrückt? In einer Sieben-Millionen-Metropole hätte man fraglos 700 Menschen pro Tag ausfindig machen können, die sich für Snooker interessieren. - mb)

Ehrenkodex der Gentlemen

Der allumfassende Fairness-Gedanke, der Ehrenkodex im Snooker geht weit über das Geschehen am Tisch hinaus. Dies haben zuletzt etwa die Beispiele Liang Wenbo und Michael White belegt. Beide wurden wegen Gewalt an Frauen von britischen Gerichten verurteilt, beide wurden in logischer Konsequenz von der WPBSA aus der Gemeinschaft der Gentlemen ausgeschlossen. Mit solchen roten Linien darf man sich gerne auch mal in Arabien oder anderswo auseinandersetzen.

Kredite, Wetten, harte Jobs

Viertens haben wir das unschlagbare Argument: steigende Prämien - vor allem für die vielen Könner unterhalb der Top 30 oder Top 40, die nur deshalb die exzellenten Standards halten können, weil sie ein professionelles Trainingspensum als Fulltime-Job absolvieren.

Ali Carter sagte 2023 in einem BBC-Interview, „90 Prozent der Profis“ seien finanziell abgebrannt. Diese 90 Prozent haben durch die Bank gejubelt, als die Preisgelder für das Saudi Masters bekanntgegeben wurden. Selbst die Erstrundenverlierer gehen in Riad nicht leer aus. Schon ein, zwei Runden dort zu überstehen bedeutet, sich eine Zeitlang deutlich entspannter auf den Sport konzentrieren zu können als Überbrückungskredite und Nebenjobs zu jonglieren - oder im schlechtesten Fall Wett-Manipulatoren zum Opfer zu fallen.

Spitzenklasse im Unterbau

Snooker hat eine große Anzahl phänomenaler Spieler zu bieten. Damit diese Breite in der Spitze weiterhin bestehen kann, muss der Unterbau sozialverträglich funktionieren – auch für jene Talente, die keinen starken Privatsponsor an ihrer Seite haben.

Selbst beim Vermarkter World Snooker hat man das offenbar so langsam begriffen und ist bereit, den Spielern ein Stückchen mehr von einem Kuchen abzuschneiden, dessen tatsächlichen Umfang aus weltweiten Fernsehlizenzen und Sponsorengeldern man nur erahnen kann.

So werden etwa bei den vier Turnieren der Home-Nations-Serie auf der britischen Insel in dieser Saison jeweils 73.000 Pfund mehr ausgeschüttet als im Vorjahr. Es geht von 427.000 auf 500.000 Pfund – immerhin eine Steigerung um über 17 Prozent.

Niedliche Investitionen

Hinter allen Events, egal ob Exhibition oder Weltranglistenturnier, stehen allerdings nicht nur Firmen oder Institutionen mit viel Geld und knallhartem Kalkül, sondern immer auch Menschen mit Leidenschaft und Liebe für den Snookersport.

Ginge es ausschließlich ums Geschäft, um Prestige oder medienwirksames Sportswashing, gibt es etwa für reiche Saudis ganz andere Plattformen, um sich Öffentlichkeit und schönen Schein zu kaufen. Zumal die Summen, um die es im Snooker geht, im Vergleich zu den Milliarden-Investitionen in die Fußball-Liga Saudi-Arabiens geradezu niedlich ausfallen.

Die Saudi Snooker Masters für 144 Spieler sind mit über 2,7 Millionen Euro Preisgeld auf dem Niveau der WM im Crucible angesiedelt. Zum Vergleich: Alleine der Deal des al-Nassr FC mit einem einzigen Spieler - Cristiano Ronaldo - für ein zweieinhalbjähriges Engagement soll rund 500 Millionen US-Dollar umfassen.

Der Weg ist das Ziel

Sport, Kunst oder Musik haben noch nie die Welt verändert, aber sie im besten Fall eine Idee lebenswerter, inspirierter oder hoffnungsvoller gestaltet - und Menschen über jegliche Grenzen hinweg miteinander verbunden. Es ist nicht viel: aber sollte die überragende sportliche Fairness im Snooker irgendwo auf unserem Planeten das eine oder andere harte Herz verhindern helfen, dann wäre schon einiges gewonnen.

 

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Snooker-Fans beim Einladungsturnier Riyadh Season World Masters im Frühjahr 2024 (picture credit: wst)

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Matthias Breusch

* verfolgt das schönste Spiel der Welt seit 1992 * bastelt unverdrossen an seinem ersten half century *  

* Liebhaber virtuoser musikalischer Handarbeiten * Übersetzer von automobilen Traumwelten für Octane * Redakteur von Rock Hard, Metal Hammer, RevierSport und rocks * Headliner und Kolumnist für guitar, drumheads, guitar dreams und guitar acoustic * Kurator des Stilblüten-Menüs Hammermusik für Behämmerte *  

Website & mehr: Snooker-Geschichten (satz-ball.de)

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