„Wo sind die anderen? Wo sind die Selbys, Allens, Robertsons, Brecels?“, fragte Stephen Hendry nach Ronnie O’Sullivans erneutem Triumph. Selbst Judd Trump konnte dem Champion nicht das Wasser reichen. Er verlor das Finale um die schönste Gießkanne der Sportwelt trotz 4:0- und 6:3-Führung deutlich mit 7:10 – in einem umkämpften Match ohne Century, dessen höchstes Break bei 74 endete.
Vor dem Endspiel erwartete die versammelte Expertenrunde ausschließlich Superlative von den beiden Führenden der Saisonstatistik. Judd hatte sich auf dem Weg ins Finale in guter Form gezeigt, Jamie Jones (4:2 nach 0:2), Lyu Haotian (4:0), Mark Selby (5:1) und Cao Yupeng (6:2) jeweils mit starkem Spiel geschlagen. Ronnie spielte sich gegen Pang Junxu (4:2), Zhou Yuelong (4:3) und Gary Wilson (5:1) warm.
Snooker in Perfektion
O’Sullivans Bilderbuch-6:1 gegen Ding Junhui im Halbfinale inklusive seiner vier Centuries wurde von sämtlichen Ex-Champs als „eine der perfektesten Sessions, die Ronnie je gespielt hat“ bezeichnet. Er selbst sagte: „Das war schon ganz gut. Ich bin zufrieden. Natürlich kann es nicht immer so laufen. Aber ich lerne immer noch dazu. Vor allem mein Safespiel hat sich verbessert.“
14 Siege am Stück haben ihm die Titel bei der UK Championship, beim Masters und beim World Grand Prix beschert. Ronnie hat bereits angekündigt, er werde seine Kräfte vor Sheffield dosieren müssen. Bei den Welsh Open und den German Masters wird er wohl nicht antreten. Judd sei für ihn in jedem Fall der Top-Favorit auf den WM-Pokal: „Er ist ein Krieger.“
Zwei Stühle, eine Meinung
Begonnen hatte die Woche in Leicester mit schwerem Theaterdonner. Als die 32 Besten der Saison zu ihrem Bonusturnier antraten, gab es im Hintergrund zunächst nur ein Thema: O’Sullivans hitzige Pressekonferenz nach seinem Masters-Sieg, als er seinen Gegner Ali Carter mehrfach zur Hölle wünschte. Ali sei ein „fucking nightmare“ und bräuchte ganz dringend einen Sozialberater. Ali zahlte die Tirade nicht mit gleicher Münze heim: „Er hat eine Meinung über mich, ich eine über ihn."
Murphy oben, Murphy unten
Schnell übernahm das Sportliche wieder die Headlines. Das furiose 4:0 von Shaun Murphy gegen John Higgins inklusive des höchsten Turnierbreaks, einer 145, ließ Murphy im Ranking der Buchmacher weit nach vorne schießen. Er verlor allerdings seinerseits bereits in Runde zwei 0:4 gegen Cao Yupeng, der zuvor Barry Hawkins mit 4:3 besiegte und im Viertelfinale ein 2:4 gegen Mark Williams in ein 5:4 drehte.
Schafft Hossein den Hattrick?
Mark Williams wiederum geriet in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, weil ihm sein Achtelfinalgegner Hossein Vafaei nach dem Match den Handschlag verweigerte. Williams hatte sich über sich selbst geärgert, als er seinen letzten Ball verschoss und annahm, der Iraner würde nun auf Snooker gehen.
Vafaei fühlte sich von Marks Geste verhöhnt, schaute sich nicht einmal mehr das Bild auf dem Tisch an und marschierte stinkwütend ab. Im Publikum machten sich Buhrufe breit. Als Williams backstage auf ihn zuging, um nachzufragen, was denn los sei, verweigerte Hossein den Handschlag zum zweiten Mal.
Nach seiner verbalen Attacke auf O`Sullivan bei der WM 2023 („Der netteste Typ der Welt. Wenn er schläft.“) fehlt dem „Prinz von Persien“ jetzt nur noch ein öffentliches Handgemenge mit John Higgins für einen ganz speziellen Hattrick: sich mit der gesamten „Klasse von 1992“ angelegt zu haben.
Während Vafaei seinen X-Account am folgenden Tag abschaltete, kommentierte Williams den Sturm im Wasserglas gewohnt tiefenentspannt: „Ich war bislang ein großer Bewunderer seines Spiels, und meine ganze Familie hatte ihn gern. Das dürfte sich jetzt ein bisschen ändern.“
Text: Matthias Breusch, Snooker-Geschichten (satz-ball.de)